Die folgende Rede wurde am 18. Februar 1975 in der Kapuziner-Kirche in Beirut durch Imam Musa Sadr gehalten:
Wir preisen und danken Dir, unserem Gott, dem Gott des Abraham, Ismael, Moses, Jesus und Mohammad, dem Gott der Schwachen und all der Geschöpfe.
Gepriesen sei Gott, der die Beängstigten beruhigt, die Würdigen freisetzt, die Schwachen emporhebt, die Hochmütigen demütigt, Könige auslöscht und Nachfolger für diese bestimmt.
Gepriesen sei Gott, der den Tyrannen Einhalt gebietet, die Unterdrücker verdammt, die Flüchtenden fängt, die Ungerechten bestraft, und die um Hilfe Rufenden unterstützt.
Wir preisen Dich dafür Gott, dass Du uns durch Dein Wohlwollen Erfolg beschert hast, uns durch Deine Führung versammelt hast, und unsere Herzen durch Deine Liebe und Barmherzigkeit geeint hast.
Hier haben wir uns in Deinen Händen, in einem Deiner Häuser, in Zeiten des Fastens für Dich versammelt.
Unsere Herzen sind voller Inbrunst für Dich. Unsere Vernunft erhält das Licht und die Führung durch Dich. Du hast uns zusammengerufen, damit wir gemeinsam den Dienst an Deiner Schöpfung verrichten und durch die Beachtung des Wortes der Gleichheit das Glück Deiner Geschöpfe hervorrufen. Vor Deinem Tor sind wir angetreten und an Deinem Altar haben wir unser Gebet verrichtet.
Zun Wohle der Menschheit haben wir uns versammelt, für die die Religionen errichtet wurden. Sie waren alle einheitlich und verkündeten sich in Botschaften und bestätigten sich gegenseitig. Gott führte durch die Religionen die Menschen aus dem Dunkeln zur Erleuchtung, nachdem Er sie von den tiefen und zerstörerischen Konflikten durch die Religionen befreit und ihnen den Weg des Friedens gelehrt hatte.
Die Religionen waren einheitlich, denn sie waren im Dienste eines einzigen Ziels, nämlich der Anbetung Gottes und des Dienstes am Menschen – die die zwei Seiten einer Wahrheit sind. Und als die Religionen sich dem Dienst ihrer eigenen Interessen gewidmet haben, bildete sich zwischen ihnen Konflikte. Dadurch ist das Selbstinteresse jeder Religion so weit angewachsen, dass sie ihr wahres Ziel vergaßen. Die Konflikte wuchsen rasant und die Leiden der Menschen verstärkten sich.
Die Religionen waren einheitlich und verfolgten ein gemeinsames Ziel: Einen Kampf gegen die irdischen Götter und Tyrannen und eine Unterstützung der Schwachen und Unterdrückten. Diese beiden Phänomene sind auch die zwei Seiten einer Wahrheit. Aufgrund der Tatsache, dass die Religionen und mit ihnen die Schwachen diesen Kampf gewannen, änderten religiöse Gruppierungen, um Profit zu schlagen, ihr Gesicht. Sie begannen das Regieren im Namen der Religionen und benutzten die Religion als Waffe. Dadurch haben sich die Leiden und Qualen der Unterdrückten vervielfältigt und die Beschwerlichkeiten und Zwietracht zwischen den Religionen stiegen. Und jede Zwietracht dient nur den Interessen der Ausbeuter.
Die Religionen waren einheitlich, denn das Prinzip ist bei allen einheitlich, nämlich Gott; und auch ihr Ziel, nämlich der Mensch, ist einheitlich; und schließlich auch das Schicksal der Welt ist einheitlich. Indem wir Gott vergaßen und uns von dem Dienst des Menschen entfernten, entfremdete und distanzierte sich Gott von uns und so unterteilten wir uns in Gruppen mit unterschiedlichen Routen. Dann nahm unsere Kühnheit Oberhand und durch die Streitigkeiten, unterteilte sich das eine Universum und diente unseren speziellen persönlichen Interessen. Wir verehrten mehrere Gottheiten und nicht den einen Gott und zerstörten und zerrissen dadurch den Menschen.
Nun kommen wir auf den richtigen Pfad und den gequälten Menschen zurück, damit auch Gott zu uns zurückkehrt und wir der göttlichen Strafe entrinnen. Wir haben uns hier für den Dienst an den Schwachen, Gequälten und der Zerrissenheit nahen Menschen versammelt, um über alle Angelegenheiten und Gott übereinzukommen, damit die Religionen auch in Zukunft eine Einheit bilden können.
„Für jeden von Euch haben wir ein göttliches Gesetz und einen Ausweg festgelegt. Wenn Gott gewollt hätte, hätte Er Euch als eine Gemeinschaft erschaffen. Aber Er wollte Euch in dem was Er Euch gegeben hat, prüfen. So konkurriert miteinander in dem Verrichten guter Taten. Zu Gott werden alle zurückkehren“ [Sūra Mā´idah, 48]
In dieser Stunde, in der Kirche, in der Fastenzeit, inmitten einer religiösen Predigt und auf Einladung der pflichtbewussten Leiter, finde ich mich in der Mitte des Weges neben Euch. Ich finde mich selbst sowohl ermahnend als auch einer Predigt unterziehend, sprechend und zuhörend, ich spreche mit meiner eigenen Sprache und höre mit meinem Herzen zu. Die Geschichte ist unser Zeuge, wir hören ihr zu und auch die Geschichte ist unser Zuhörer. Die Geschichte bezeugt, dass der Libanon das Land der Begegnung, das Land des Menschen, das Heimatland der Unterdrückten und der Zufluchtsort der Beängstigten ist. In dieser Umgebung und dem großen Horizont können wir den wahren göttlichen Botschaften zuhören, denn wir sind nun ihrer Quelle nähergekommen.
Dies ist Jesus Christus, Ehre sei Ihm, der in seiner zornigen Liebe verkündet: „Niemals! Niemals kann die göttliche Liebe sich mit dem Hass auf den Menschen vereinigen.“ Seine Stimme hallt im Bewusstsein der Massen, als eine weitere Stimme vom Propheten der Barmherzigkeit erhört wird: „Derjenige, der ruhig schlafen kann, während sein Nachbar unter Hunger leidet, hat weder den Glauben an Gott noch an den Jüngsten Tag verinnerlicht.“
Die beiden Stimmen haben sich durch die verschiedenen Epochen hinweg gegenseitig beeinflusst, sodass deren Echo auch zum Anlass der Fastenzeit durch Papst [Paul VI.] ausgesprochen wird: „Christus und der arme Mensch sind eine Person.“ In seiner berühmten Enzyklika Populorum Progressio [Über die Entwicklung der Völker] ist er um die Würde des Menschen besorgt, und sagt wie Christus im Tempel: „Dann ist die Versuchung groß, solches gegen die menschliche Würde verstoßende Unrecht mit Gewalt zu beseitigen“ [۳۰]. Und er sagt: „Weniger menschlich: Das sind die Züge der Gewalt, die im Mißbrauch des Besitzes oder der Macht ihren Grund haben, in der Ausbeutung der Arbeiter, in ungerechtem Geschäftsgebaren“ [۲۱].
Unterscheidet sich diese klare Stimme von den Zielen, die sich in der prophetischen islamischen Tradition finden? – “Ich, Gott, bin an der Seite der Menschen mit gebrochenem Herzen. Ich war beim Kranken, als du ihn besucht hast, beim Armen, als du ihm geholfen hast, und beim Bedürftigen, als du nach Erfüllung seiner Bedürfnisse suchtest.“
Was das Mittel betrifft: Gott sieht jede Anstrengung zur Errichtung von Recht und jede Aktivität zur Stärkung des Unterdrückten als eine Bemühung (Jihād) in seinem Wege und ein Gebet in seinem Altar. Er selbst ist der Garant des Sieges.
Mit diesen Aussagen gehen wir zum Menschen zurück, um nach den Kräften zu suchen, die zerstören und zerteilen. Der Mensch, diese göttliche Gabe, dieses Wesen, das nach dem Bild und Charakteristika ihres Schöpfers erschaffen wurde, Gottes Stellvertreter auf Erden, dieser Mensch ist der Grund der Existenz, der Anfang und Ziel der Gesellschaft, und die bewegende Kraft der Geschichte. Dieser Mensch ist gleichzusetzen mit der Summe all seiner Kräfte und Energien, nicht in der philosophischen und physikalischen Sicht unseres Jahrhunderts, die sich in der Möglichkeit der Transformation der Materie, jeder Materie, in Energie einig ist, sondern vielmehr nach dem, was die Religionen und die wissenschaftlichen Forschungen bestätigen, dass „für den Menschen nur das bestimmt ist, wonach er strebt“. Und die Handlungen sind ewig. Dem Menschen bleibt außer seiner, sich in verschiedenen Horizonte ausbreitenden Energie kein Wert. Deshalb je mehr wir die Fähigkeiten des Menschen würdigen und schützen, umso mehr ehren und verewigen wir ihn.
Wenn die himmlische Dimension des Glaubens, dem Menschen die Unendlichkeit der Gefühle, des Strebens und der Träume verleiht; wenn die himmlische Dimension des Glaubens dem Menschen in einer hoffnungslosen Situation Zuversicht spendet, seine Sorgen beseitigt und zwischen ihm und den anderen Menschen und ihm und den anderen Lebewesen eine Harmonie bildet; wenn diese Dimension des Glaubens, dem Menschen diese Vortrefflichkeit und diese Schönheit verleiht; dann schützt die andere Dimension des Glaubens dem Menschen und schont ihn, und sieht diesen Schutz als Pflicht an und beteuert, dass es keinen Glauben ohne die Verpflichtung zum Dienst an den Menschen gibt.
Alle Energien des Menschen und die Energien jedes einzelnen Menschen sollten bewahrt und entwickelt werden. Aus diesem Grunde findet sich das Streben nach dem Prinzip der Vollkommenheit in den ersten Botschaften bis in der letzten Mitteilung des Papstes [Paul VI.], wo er betonte: „Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben“ [۱۴]. Aus diesem Grunde finden wir beispielsweise, dass Diebstahl in den Geboten verboten wurde, als rechtswidrige Aneignung der menschlichen Energien und deren Erträge. Jedoch ist es heutzutage in Form von Investitionen und Monopolen unter dem Deckmantel des industriellen Fortschritts zu finden, oder durch die künstlichen Bedürfnisse, die durch Produktionsmittel dem Menschen auferlegt werden, damit in ihm der falsche Wunsch nach stetigem Konsum entflammt. In der Tat sind die heutigen Bedürfnisse nicht aus dem Inneren der Menschen entsprungen, sondern künstlich durch die Massenmedien in Abhängigkeit von den Produktionsmitteln erschaffen worden.
So ist es, dass jeden Tag ein neues Bedürfnis oder die Entwicklung eines neuen Bedürfnisses dem Menschen auferlegt wird, das all seine Energien beschäftigt und umwandelt, ohne ihm die Wahl in ihrer Nutzung in dem von ihm selbst als richtig erachteten Weise zu lassen. So sind wir Zeugen einer tiefgreifenden Entwicklung der verschiedenen Kräfte, die die menschlichen Energien abwehren, zerstören und teilen. Nichtsdestotrotz ist der Kern dieser zerstörerischen Kräfte stabil geblieben, trotz der Formänderung und Überfluss der Entwicklungen.
So hat beispielsweise die Religion gegen Lügen, Heuchelei, Eitelkeit und Arroganz gekämpft. Wenn wir diese Charakteristika grundlegend betrachten, dann verstehen wir den Grad ihrer negativen Auswirkung auf die Energien des Individuums und der Gesellschaft. Lügen verfälschen die Wahrheiten und die Energien, die zum Austausch zwischen den Menschen bestimmt sind. Durch den Austausch dieser Fähigkeiten und Akzeptanz anderer Fähigkeiten, entwickelt sich der Mensch. Diese Fähigkeiten werden durch Lügen falsifiziert, unkenntlich gemacht und verzerrt; und schließlich wird der Austausch verformt und die Energien deaktiviert. Eitelkeit und Arroganz halten den Menschen an, denn der Mensch hat mit ihnen das Gefühl, die Stufe der Zufriedenheit erreicht zu haben; die eitle Person verweigert sich, zu nehmen, und folglich sich zu vervollkommnen. Und auf der anderen Seite verweigern sich die Menschen, von ihr zu nehmen, und sich durch sie zu vervollkommnen. Demzufolge wird das Nehmen und Geben unterbrochen, was den Tod der Energien, den Tod der menschlichen Energien bedeutet. Dies gilt auch für die Charakteristika, die dem Lügen und der Eitelkeit entsprechen.
Freiheit bietet aber eine angemessene Umgebung für die Entwicklung der menschlichen Energien und die Ausbildung seiner Talente, wenn die Chancen dazu auch gegeben sind. Diese Freiheit unterlag öfters Angriffe und Verletzungen durch eine Reihe von mutmaßlichen Gründen. Aufgrund der Tatsache, dass die Freiheit eine ideale Atmosphäre für die Entwicklung und Fortschritt der menschlichen Fähigkeiten, Energien und Talenten bietet, kann man sagen, dass sie die Quelle aller Energien ist. Für die Freiheit wurden Kriege geführt und es bildeten sich bittere Konflikte. Wenn die Freiheit dem Menschen entzogen wird, unterliegen die Energien des Individuums und der Gesellschaft den Beschränkungen der Usurpatoren der Freiheit. Schließlich führt dies zu einer Hemmung und Beschränkung des Individuums und der Gesellschaft. Wenn der Mensch diese Beschränkungen verweigert, dann bemüht er sich und aufgrund unseres Glaubens strengen wir uns mit ihm an, diese spaltenden und unbändigen Kräfte zu begrenzen. In Wahrheit, verteidigt unser Mensch, und verteidigen wir mit ihm die Energien und Würde des Menschen ohne Berücksichtigung der Form und Ausdruck der beschränkenden Kräfte im Laufe der Menschheitsgeschichte.
Die Formen der Freiheitsbeschränkung und der Zerstörung der menschlichen Fähigkeiten haben sich im Laufe der Jahre verändert: Von der Tyrannei hin zum Kolonialismus, vom Feudalismus hin zum intellektuellen Terrorismus, vom Vormundschaftsanspruch über der Bevölkerung bis zum Vorwurf des Mangels an intellektuellem Vermögen, vom Neokolonialismus hin zu Auferlegung von Standpunkten auf Individuen und Völker, durch ökonomischen, kulturellen oder intellektuellen Druck; und von der Politik der Vernachlässigung, die die Abhaltung der Menschen und Regionen von Chancen beabsichtigt, bis hin zur Beibehaltung der Menschen in Unwissenheit und Ignoranz und sogar Vorenthaltung von Hygiene und Bewegungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. All die genannten Punkte stellen verschiedene Formen des Freiheitsentzugs und Zerschlagung der menschlichen Energien dar.
Geld und Reichtum als höchsten Abgott sieht Jesus Christus als ein Hindernis zum Eintritt im Königreich des Himmels an. Ein Hemmnis viel größer als die Maße eines Kamels beim Versuch des Eindringens durch ein Nadelöhr. Dieser Reichtum ist eine Quelle der Verführung. Wenn der Reichtum auf Kosten anderer Individuen und kollektive Bedürfnisse ansteigt, wird es zu einer Repressions- und Teilungsmacht, es wirft somit tiefe Einflüsse auf das Leben der Menschen, wo die Großen die Kleinen verschlingen.
So ist es, dass alle menschlichen Bedürfnisse, die auf Kosten der Bedürfnisse anderer ansteigt, als Lust bezeichnet werden. In der Tat ist jedes Bedürfnis ein Motivator, eine treibende Kraft und der Treibstoff, der einen Menschen aktiviert. Aber wenn dieses Bedürfnis auf Kosten anderer Notwendigkeiten steigt, wird es sich als ein Desaster herausstellen. Das ist der Grund, warum die größte Verantwortung die geschickte Führung von Besitz- und Reichtum, Prestige, Macht und andere menschliche Fähigkeiten ist.
Die Wahrheit ist, dass wenn die Dimensionen des Glaubens, die eine Verbindung zwischen Gott und dem Menschen in einer stetigen Präsenz erlaubt, nicht die Grundlage einer neuen Zivilisation ist, werden wir mit einer brüchigen und unausgewogenen Zivilisation konfrontiert sein. Wenn wir die Geschichte dieser Zivilisation Revue passieren lassen, werden wir mit der einseitigen Entwicklung des Menschen in der heutigen Zeit konfrontiert sein. Da Politik, Führung, Markt und Aufbau nicht auf der Grundlage des Glaubens aufgebaut wurden, hat jedes Bedürfnis angefangen, auf Kosten anderer anzusteigen; und so haben sich Politik, Führung, Markt und Aufbau in Kolonialismus, Kriege, Suche nach neuen Märkten und Herrschaft des bewaffneten Friedens umgewandelt, was dazu geführt hat, dass das menschliche Leben zwischen kalten und warmen Kriegen, zwischen der Periode des Heilens der Wunden und dem bewaffneten Frieden schwingt.
Gleicherweise ist die Liebe eines Menschen zu seinem eigenen Wesen sein Antrieb für Perfektion. Wenn dies jedoch zum Anstieg des Narzissmus führt, fangen die Probleme an. Zusammenstöße, Rassendiskriminierung, Verachtung anderer und der bittere Konflikt in den unterschiedlichen Gesellschaftszentren, angefangen in den Familien bis in der internationalen Gemeinschaft, sind alle Konflikte, die in konzentrischen, aber ungleichen Kreisen ausgetragen werden. Und obwohl die Gründe auf die diese ungleichen Interessensbereiche beruhen, einheitlich sind, weisen sie deutliche Diskrepanzen auf.
Dieser Konflikt, der als integraler Bestandteil der Schöpfung angesehen wurde, ist das Produkt der Verlagerung von Selbstliebe auf Selbstanbetung. Dieselbe negative Auswirkung gilt auch wenn Egoismus in die Gemeinschaft übergeht. Die Gemeinschaft hat sich für den Dienst am Menschen gebildet. Der Mensch ist in seiner Natur ein bürgerliches, gemeinschaftliches Seiendes. Er ist das Seiende, das eine persönliche und eine gemeinschaftliche Dimension hat. Wenn der Egoismus in einer Gesellschaft Fuß fasst, entstehen für die Menschlichkeit in verschiedenen Formen Probleme: Vom individuellen Egoismus über den familiären Egoismus, unter dessen Übeln man gelitten hat, hin zur Stammesdominanz, die eine Ordnung mit bestimmten Ergebnissen geworden ist, und über der Konfession, die durch ihren Egoismus das Himmlische in das Irdische umgewandelt, und die Religion und die Gemeinschaft von ihrer Größe, Barmherzigkeit und Toleranz geleert hat. Dieser Konfessionalismus, der die spirituellen Werte als Handelsmittel gebraucht hat, und unterschiedliche Preise daraus gewonnen – bis hin zum selbstsüchtigen Patriotismus.
Und so kann sich der Patriotismus, der als einer der edelsten Gefühle des Menschen angesehen wird, in nationalen Rassismus umwandeln, sodass die Person ihr Heimatland, anstelle von Gott, als anbetungswürdig ansieht. Deshalb erlaubt man sich, den Ruhm seines Heimatlandes über die Ruinen der anderen Länder zu stellen, und seine Zivilisation auf die Zerstörung anderer Zivilisationen zu fertigen, und den Lebensstandard seiner eigenen Bevölkerung auf der Grundlage der Verarmung anderer Völker anzuheben. Der Nationalsozialismus, der die Welt einige Male am Rande eines Untergangs gebracht hat, ist das Paradebeispiel des nationalen Rassismus.
Diese ausgedehnten Egoismen, die wir als anbetungswürdig ansahen, die durch ungleichmäßige Entwicklung in Vernichtungen und Verwüstungen umgewandelt worden sind. Die Selbstliebe, Familiengehorsam, die Liebe zum Stamm und zum Vaterland und die nationalen Verbundenheiten, sind, solange sie in richtigen Grenzen bleiben, wohltätige und konstruktive Neigungen im Leben der Menschen. Nun können wir auf den Untertitel, den ich für diesen Vortrag gewählt habe, zurückkommen: „Die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Menschen.“
Die Gesellschaft, die diesen Menschen umfängt, sollte als Ganzes koordiniert werden, und das Individuum als solches in Harmonie mit dieser Gesellschaft leben. Jedes Bedürfnis, das auf Kosten der Missachtung anderer Bedürfnisse zustande kommt und anwächst, wird als problematisch aufgezeichnet. Jedes Individuum, das durch die Außerachtlassung der Rechte von einer Gruppe von Menschen sich entwickelt, wird unermüdlich als herausfordernd betrachtet. Jede Gemeinschaft, die durch Verletzung der Rechte anderer Gemeinschaften anwächst, ist bösartig und stürzt in ein Unglück. Mäßigkeit ist das Produkt der Empathie und bewirkt, dass ein Mensch den Schmerz anderer als seinen eigenen betrachtet. Das ist genau dieser Gedanke, der zur Einhaltung des Fastens einlädt. Diese Mäßigkeit ist der Garant der wahren und harmonischen Entwicklung des Individuums und der Gemeinschaft.
Der Libanon, unser Land, ist das Land, in dem die Bürger die einzige Ressource darstellen. Der Mensch, der die Herrlichkeit des Libanon durch persönliche Anstrengung, geistige Fähigkeit und Initiative herbeigeführt hat; solch einen Menschen gilt es in diesem Land zu schützen. Wenn andere Länder außer den menschlichen Ressourcen noch andere Reichtümer besitzen, ist unser Vermögen in Libanon einzig und allein der Mensch und danach die Menschlichkeit. Aus diesem Grunde ist es unsere Anstrengung im Libanon, von den Gebetsräumen bis in den Universitäten und anderen Institutionen, den Schutz der Menschen im Libanon, aller Menschen und alle Dimensionen des Menschen mit allen unterschiedlichen Fähigkeiten und in den verschiedensten Regionen des Libanon zu gewährleisten.
Wenn wir den Libanon bewahren wollen, und wenn wir unsere nationalen Gefühle zufriedenstellen wollen, und wenn wir unsere religiöse Intuition durch die hier vorgestellten Prinzipien Antwort verleihen möchten, sollten wir die Menschen des Libanon mit all seinen Energien bewahren und die selektive Herangehensweise beenden.
Wenn wir in diesem Libanon leben, sind wir mit großen Entbehrungen und Entrechtungen konfrontiert, die auf gewissensloses Handeln beruhen und alle dafür verantwortlich sind. Härte ist, wie wir in den gesegneten Worten gehört haben, dem Menschen zuliebe, soviel wie nötig, unter der Bedingung der Einhaltung der Menschenrechte erlaubt.
Die Regionen, in denen wir und unsere Menschen hier im Libanon leben, sind genauso wie der Mensch des Libanon uns und den Verantwortungstragenden anvertraut worden. Der Süden und die anderen Regionen sind unserer Obhut anvertraut worden, die aufgrund des göttlichen Befehls und dem Wille des Landes bewahrt werden müssen. Aus diesem Grund müssen wir Verantwortung übernehmen und Einsätze in einer freien und korrekten Art ausüben. Aus diesem Grund müssen wir kundig die Theorie und Praxis unter die Lupe nehmen. Die Fehleinschätzung von Gedanken und das Fehlverhalten in der Praxis stellen einen Doppelverrat an das Anvertraute dar: Der Verrat der direkten Korruption und der Verrat der Zertretung der Chancen der anderen Menschen und der Verschwendung der öffentlichen Reichtümer und Rechte. Das Aufzeichnen von Unterschieden in jeder Form und unter jedem Vorwand ist die Basis für Differenzen.
Dieser Libanon ist das Land der Menschen und der Menschlichkeit, dessen Wirklichkeit durch einen Vergleich mit seinen Feinden deutlich wird. Wir sehen, dass die soziale Natur dieses Feindes rassistisch ist und ein Militär, dessen unterdrückende und auseinandertreibende Maßnahmen sich in allen finanziellen, kulturellen und politischen Dimensionen wiederfinden. Dieser Feind geht in seiner Kühnheit sogar soweit die Geschichte zu verfälschen, die Heilige Stadt Jerusalem jüdisch zu prägen und die historischen Denkmäler zu beschädigen.
Deshalb müssen wir unser Land schützen, nicht nur wegen Gott und dessen Menschen, sondern auch für die gesamte Menschheit. Und wir sollten ein für das Recht kämpfendes, wahres und vereinigtes Gesicht Libanons gegenüber dem anderen Bild aufzeigen. Hier befinden wir uns in einer einmaligen Gelegenheit, in einem neuen Kapitel, das der Libanon aufgeschlagen hat.
Liebe Gläubige, lasst uns den Menschen zuliebe, für alle Menschen, unsere Menschen in Beirut, im Süden, im Hermel, in Akar, in den Vororten Beiruts, in Karantina und Hey El-Selum einmütig und einstimmig werden. Der Mensch – jeder Mensch – ist ein Teil dieser verfügbaren Chance und Bewegung. Er ist weder isoliert noch einer bestimmten Ordnung gehörig. Deshalb lasst uns den Menschen des Libanon bewahren, um die Beschützer dieses Landes zu sein, ein Land, dass uns durch die Geschichte und Gott anvertraut worden ist.
Gottes Frieden, Barmherzigkeit und Segen sei mit Euch.
(Übersetzung aus dem Arabischen von Wahid Hassani Tabatabai)